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Cécile Calla: Tour de Franz

Cécile Calla, die Autorin und Protagonistin dieses Buches, ist Journalistin. Eines Tages verschlägt es sie in ihrer Eigenschaft als Korrespondentin der Zeitung Le Monde aus Paris nach Berlin. Ursprünglich ist sie wegen eines Mannes namens Franz dorthin gezogen. Aus einer möglichen Beziehung wird jedoch nichts, so dass sie über den flüchtigen Kontakt hinaus später nichts mehr mit ihm zu tun hat. In Berlin lebt sie zunächst gemeinsam mit Thorsten, Thea und deren Haustieren (ein Hund und eine Katze) in einer recht chaotischen WG. Des Weiteren lernt sie durch ihre Arbeit auch Kollegen sowie einen Martin kennen.

Im Verlauf ihres Aufenthaltes in Berlin erlebt sie natürlich viele Situationen, in der sie mit den deutschen Sitten, Ansichten und Gewohnheiten konfrontiert wird. Dabei kommt ihr naturgemäß einiges als Französin seltsam vor, da ja dort vieles anders gedacht und getan wird. So nimmt sie Kapitel für Kapitel verschiedene französische und deutsche Eigenarten auf die Schippe und widerlegt so manche. Dies geschieht völlig ohne erhobenen Zeigefinger, sondern auf lockere und populäre Art. Entsprechend ist der Text sehr leicht verständlich und enthält keinerlei Fachbegriffe, für die man etwa ein Wörterbuch oder so zu Rate ziehen müsste. Dadurch lässt es sich gut in der Freizeit, sei es zur Entspannung oder zur Unterhaltung, lesen. So manches Mal wird man zum Schmunzeln angeregt, wenn man mit den „typisch deutschen“ Verhaltensweisen konfrontiert wird oder vergleichsweise etwas über die französischen erfährt. Andererseits gibt es sicherlich auch einige Dinge, wo man sagen wird: „Nee, also so ist das auch wieder nicht – so habe ich das noch nie betrachtet – oder aber: Das sehe ich anders“ oder Ähnliches. Langweilig wird einem auf jeden Fall nicht dabei, da immer wieder ein neuer Aspekt auftaucht, jedoch ohne dass es zu überladen wirken würde. Die Erzählung fließt einfach locker weiter, bleibt aber umgekehrt auch niemals stocken, so dass die 204 Seiten recht flott durchgelesen sind.

Obwohl die „Geschichte“ schon irgendwie chronologisch erzählt wird, gibt es hier keine wirkliche Storyline. Das heißt es passiert schon einiges, aber das Buch hat keine Story in dem Sinne, wie es etwa bei einem Roman der Fall wäre. Die Kapitel sind so eingeteilt, dass in jedem ein bestimmter Aspekt erzählerisch behandelt wird. Dabei bringt die wohlgesetzte wörtliche Rede das Ganze zusätzlich auf harrnonische Weise in Schwung und trägt zur Lebendigkeit des Stils bei. Auch schreibt die Autorin zwar von sich und ihren Erlebnissen, was allerdings nicht bedeutet, dass alles 1:1 genau so erlebt ist. Erlebnisse und Personen können also aus Datenschutz- und anderen Gründen verfremdet sein. Dennoch sind die Schilderungen realistisch und nahtlos ineinander verwoben. Man merkt beim Lesen also nicht, was jetzt real erlebt und was verändert ist. Ich denke, das spricht schon für eine bestimmte Erzählqualität, dass sie sich nirgendwo verhaspelt und keinerlei Unstimmigkeiten auftreten.

Unter anderem wird beispielsweise das Phänomen der Flirtens thematisiert, aber auch gewisse Themen, die im deutschen Alltag oft tabu sind und in der Öffentlichkeit so behandelt werden (so das Klischee), in Frankreich hingegen nicht. Selbstverständlich fehlen auch die üblichen Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Kultur nicht, wie etwa die Küche und das mit den Bussis. Die sprichwörtliche Diszipliniertheit der Deutschen im Alltag wird ebenso auf verschiedene Weise thematisiert wie die sich voneinander unterscheidende Streikkultur, die deutsche Bürokratie, Aspekte aus dem Bildungssektor, Multikulti und die deutsche Sehnsucht nach „Natürlichkeit“. Oder regelmäßige Rituale vieler Deutscher wie sonntags Tatort gucken und samstags Waschtag. Neben den Unterschieden (ob vermeintlich oder in der Praxis bestätigt) kommen aber auch vereinzelt Dinge zur Sprache, die möglicherweise ähnlich sind oder sich zumindest ergänzen. Insofern könnte das Buch sicherlich auch zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beider Seiten führen.
In dem Buch wird dies alles übrigens objektiv geschildert. Das heißt, es wird keineswegs als unwiderlegbares Klischee á la „Das ist so“ beschrieben, sondern es steht dem Leser frei, sich anhand der geschilderten Situationen selbst ein Bild und eine Meinung zu bilden. Zu keiner Zeit habe ich jedenfalls den Eindruck gehabt, dass mir als Leserin irgendeine Sichtweise aufgedrückt werden soll – mitnichten. Sie beschreibt einfach nur die Situationen, so, wie man sich in einem Gespräch locker darüber unterhalten und amüsieren würde. Nicht wertend.

Fazit

Ein sehr unterhaltsames Buch, das deutsche und französische Eigenheiten mit einem Augenzwinkern darstellt und manche Vorurteile widerlegt. Wer sich zwischendurch einmal mit einer leichteren Lektüre köstlich amüsieren möchte, liegt hiermit mit Sicherheit nicht falsch.

Karin 14.12.2010, 20.17

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