Beiträge wie der vorige passen natürlich nicht ganz zu einem Tag wie
diesem. Aber man kann nicht oft genug vor solchen Seiten warnen, und
irgendwie fühlte ich mich mal wieder verpflichtet, dies dringlich zu
tun.
Im Mittelpunkt dieses Tages stand natürlich auch bei mir das
alljährliche Ritual des Gedenkens an die Verstorbenen. Ob bei all den
Massenfamilienpilgerfahrten zu den städischen Friedhöfen, hektischer
Suche nach dem richtigen Grab (es sieht ja alles gleich aus), und
angeregten Plaudereien mit Bekannten, die man schon ewig nicht mehr
gesehen hat (aber auf dem Friedhof trifft man sie!) - ob da überhaupt
eine Stimmung des Gedenkens aufkommen kann, ist fraglich. Aber
Hauptsache, man war da, und hat sein obligatorisches rot leuchtendes
Grablicht dort abgestellt, als Beweis dafür, dass man seinen toten
Angehörigen nicht vergessen hat.
Dass die Erinnerung nichts mit dem zu tun hat, was da unter der
Oberfläche liegt, dass der Grabstein nur eben - nun ja, ein kalter
Stein ist, und dass der Name darauf nichts über den Menschen aussagt,
so wie ihn die Anverwandten und nahen Bekannten in Erinnerung haben...
all das wird geflissentlich übergangen.
Es mag Menschen geben, die so einen Ort (vielleicht nicht gerade, wenn
da so viel los ist wie an Allerheiligen) zum Gedenken brauchen. Und die
Trost darin finden, einen Blumenstrauß auf das Grab zu stellen, der in
drei bis vier Tagen sowieso verwelkt sein wird (für die Blumenhändler
ist das ein gutes Geschäft).
Ich persönlich brauche so einen Ort nicht. Ein Friedhof ist nicht dazu
angetan, meine Erinnerungen an Leben und Werk meiner Lieben
wachzurufen. Das Ritual des Friedhofsgangs an Allerheiligen ist für
mich nichts als ein Ritual. Gedenken tue ich zu Hause, in Ruhe (=etwas,
was an diesem Tag hier paradoxerweise auf dem städtischen Friedhof
nicht aufkommt).
Auf dem Dorffriedhof, wo die Gebeine meiner Mutter begraben sind, ging
es hingegen tatsächlich friedlich zu. Aber Ritual bleibt Ritual. Wie
gesagt, ich möchte solche Rituale nicht abwerten - manchen sind sie
wichtig. Für mich sind sie jedoch nur Beiwerk, jedoch nicht das
Eigentliche.
Etwas anderes hat mich hingegen - noch auf dem Stadtfriedhof - sehr betroffen gemacht.
Ich kam an einem Sammelgrab vorbei.
Dieses war in viele winzig kleine Parzellen unterteilt.
Wahrscheinlich ahnt Ihr, was es war...
Dort lagen Babys begraben.
Solche, die kurz nach der Geburt gestorben waren.
Frühgeburten. Sie sind nicht durchgekommen.
Sie sind nicht die einzigen.
Aber jedes einzelne kleine Wesen war wertvoll.
Alle hätten sie ein Leben vor sich gehabt.
Jetzt haben sie eines hinter sich - noch bevor es richtig begonnen hat.
So richtig begreifen kann ich das nicht.
Die Welt ist absurd...
Noch als ich weitergehe, versuche ich zu verstehen, wie es den Müttern
ergehen muss, die diese Kinder monatelang im Leib getragen haben, um
sie dann gleich nach der Geburt zu verlieren. Wie gehen sie damit um?
Es muss schrecklich für sie sein...
Aber ist es nicht noch viel schrecklicher, wenn sie an einem Tag wie
diesem zum Friedhof gehen, auf einem dieser Tafeln den Namen sehen, den
eines ihrer Kinder hätte tragen sollen, wenn es überlebt hätte... und
dadurch noch einmal mit all der Trauer und Verzweiflung konfrontiert
werden?
Wenn ich so eine Mutter wäre, würde ich wohl an diesem Ort immer wieder
von meinen Gefühlen überwältigt werden. Ich würde ihn meiden, nur um
nicht ständig daran denken zu müssen. Um selbst weiterleben zu können.
Doch wahrscheinlich kann man sich das gar nicht vorstellen, wenn man es
nicht selbst erlebt hat. Ich wünsche jedem, dass Ihr/ihm so etwas
erspart bleiben möge.
Und denen, die es leider erleben mussten, wünsche ich, dass sie die Kraft
finden, weiterzuleben, aber auch den Mut nicht verlieren - die
Hoffnung, dass sie doch noch irgendwann ein neues Leben durch diese Welt begleiten
können.
Leben und Tod, Tod und Leben... in manchen Momenten wird einem klar, wie dicht diese beiden doch nebeneinander liegen.