Ausgewählter Beitrag

Das bleiche Herz

Schon lange hat mich ein Buch nicht mehr so gefesselt wie dieses.

Inhalt:

Dr. Cass Bainbridge zieht aus der gemeinsamen Wohnung, die sie mit ihrem Verlobten Matt bewohnt hatte, in den Küstenort Brighton, um ihre neue Dozentenstelle an der Universität in Sussex anzutreten. Zum Einen wegen der Stelle, zum Anderen aber auch, weil sie diese Auszeit wohl braucht, um sich über die Beziehung, aber auch sich selbst wieder klarer zu werden. Dass Matt nicht gerade begeistert von dem Umzug ist, ist nicht schwer zu erraten.
Cass, die Hauptperson dieses Romans, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist eine etwas pummligere Frau, ziemlich chaotisch und unorganisiert, und ist hinter ihrer halbwegs selbstsicheren und gefassten Fassade etwas unsicher. Dies zeigt sich auch bei ihrem ersten Seminar an der Uni, an dem sie ihre Studenten kennen lernt.
Dass ihr Kollege Julian an diesem ersten Tag ganz dreist ohne anzuklopfen ihr Büro betritt, ist ihr auch nicht unbedingt angenehm. Zumal sie in dem Moment auch das Gefühl hat, er würde sie leicht anbaggern.
Noch merkwürdiger ist allerdings Alec, ein hochintelligenter Student aus dem Seminar, in dem sie doziert. Er scheint sie aus unerfindlichen Gründen zu verachten - jedenfalls kritisiert er sie des Öfteren, nimmt alles sehr genau und setzt sie sogar unter Druck, als sie ihm die benotete Hausarbeit nicht schnell genug zurückgibt.
Das Allerseltsamste kommt aber noch: Cass erhält immer öfter anonyme Mails und Anrufe, in denen außer gelegentlich einem Atmen nichts zu hören ist, oder in denen der Anrufer gleich auflegt. Außerdem hat sie immer öfter das Gefühl, verfolgt zu werden, glaubt sogar einen Menschen am Fenster ihrer Wohnung zu sehen, der über die Feuerleiter hinaufgekommen sein könnte. Anfangs kann sie diese Ereignisse noch als Hirngespinste, Zufall oder als etwas, das sich logisch erklären lässt, abtun. Doch all dies bricht nicht ab. Erklärungen dafür hat sie nicht. Nur vage Vermutungen, wer es sein könnte. Aber liegt sie mit einer davon richtig??

Und dann ist da noch Beth. Laut deren eigener Aussage bei der Vorstellungsrunde des ersten Seminars studiert sie ein Fach namens "Gender Studies". Schon ziemlich zu Anfang des Semesters teilt sie Cass mit, worüber sie ihre Arbeit schreiben will. Offenbar sieht es so aus, als ob sie immer wieder Vorwände sucht, um in Cass' Nähe zu sein. Als Beth ihr ihre traurige, teils jedoch in sich widersprüchliche Familiengeschichte auftischt, hat Cass Mitleid mit ihr. So kommt es, dass sie, als Beth von der Bar, in der diese nebenbei kellnert, anruft, weil ihre Pflegeeltern sie angeblich rausgeschmissen haben, direkt hinfährt und ihr sogar ein Obdach anbietet.
Was sich zunächst zu einer Art Freundschaft zu entwickeln scheint, wird Cass zunehmend unangenehm - vor Allem deshalb, weil sie sich in ihrer Privatsphäre eingeschränkt fühlt. Zum Beispiel, als sie an einem Tag nach Hause kommt und das gesamte Chaos ihrer Wohnung aufgeräumt, alles geputzt und den Kühlschrank prall gefüllt vorfindet. Zudem bringt sie Beth's Anwesenheit in eine missliche Lage, als Matt plötzlich überraschend vor der Tür steht...

Nach und nach wird sie im Verlauf der Handlung von Erinnerungen übermannt, die durch irgendwelche Geschehnisse oder Aussagen wachgerufen wurden. Diese Erinnerungen hatte sie teils schon lange verdrängt. Zuerst kommen Erinnerungen an ihre Familie hoch, wo alles noch in Ordnung war. Dann die Zeit der Pubertät, als sie 15 war und eine richtige Rebellin, wo sie den Eindruck hatte, dass ihre Mutter sie als Tochter nicht mehr so liebte wie früher - immer war ihr Bruder David das Lieblingskind. Als ihr Vater starb, heiratete ihre Mutter einen anderen. An eben jenem Tag der Vermählung passierte Cass etwas Tragisches - so gesehen eine Folge von einem ebenso tragischen Ereignis, das ihr zuvor geschehen war...

Meine Rezension:

Katy Gardner versteht es, gekonnt eine Spannung aufzubauen, die ihresgleichen sucht. Stellenweise bekommt man beim Lesen fast eine sinnbildliche Gänsehaut!

Die Ich-Perspektive, die hier wirklich perfekt ausgenutzt wird (als Leser weiß man immer nur so viel, wie die Hauptperson Cass zu dem Zeitpunkt auch weiß, bzw. woran sie sich gerade erinnert), ist dabei wirklich gut gewählt.

Es ist sehr atmosphärisch und inhaltlich dicht geschrieben. Auf diese Weise erfährt man immer wieder etwas Neues - und so manches Mal entpuppt sich etwas anders, als man dachte, wird verwirrt und auf falsche Fährten gelockt, an die die Protagonistin in dem Moment selbst glaubt.

Am Ende ist vieles ganz anders, als man sich das aufgrund des Verlaufs vorgestellt hat.
Sicher, im Rückblick hätte einiges stutzig machen können. Anderes aber konnte man wirklich nicht voraussehen, da man ja alles immer nur durch die Brille der Hauptperson "gesehen" hat.
Und diese hatte sich halt ihre eigene Version aufgebaut; einerseits geprägt durch bestimmte Dinge (schlimmer Art) in ihrer Vergangenheit, die sie verdrängt hatte und die erst nach und nach wieder zum Vorschein kommen. Andererseits aber auch durch falsche Interpretationen und Vorurteile ihrerseits.

Ebenfalls werden die handelnden Personen gekonnt in die Geschichte eingesponnen, um bestimmte Wirkungen / Handlungsrichtungen zu erzielen.

Alles in allem ist das wirklich ein Psychothriller vom Feinsten!
Ich kann schon jetzt sagen, dass es nicht das letzte Buch von dieser Autorin gewesen ist, das ich gelesen habe. Es werden weitere folgen - nur nicht direkt hintereinander.

Karin 15.10.2008, 19.57

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