Ausgewählter Beitrag

Deutsche Vorurteile zur DDR-Zeit

Ich hatte Euch ja noch den zusammenfassenden Bericht zu der gestrigen Reportage "Drüben!" in der ARD (die übrigens sehr gut recherchiert und umgesetzt war) über die gegenseitigen Vorurteile von Ossis und Wessis zu DDR- Zeiten versprochen. Das werde ich auch jetzt noch tun, wenn auch (was anderes hatte ich auch nicht angekündigt) in mehr oder weniger stichpunktartiger Form. Möge sich jeder selbst ein Bild machen.

  • Es wurde anhand von Beispielen deutlich gemacht, dass im deutschen Westen in Medien und Bildung damals bewusst eine Art F.eindbild Ost geschürt wurde. So standen in den Schulbüchern absichtlich falsche Aussagen, die suggerieren sollten, dass alles, was mit Ostdeutschland zusammenhing, von staatlicher Willkür und " Gewalt geprägt wurde, dass dort nur Armut herrschte usw.
  • Umgekehrt wurde in de DDR natürlich auch kräftig das System propagiert und im Gegenzug versucht, die "andere Seite" so schlecht wie möglich darzustellen. Ob nun die damals sehr lange über den Fabriken hängenden Transparente (die nach einer Weile entsprechend Verschleißerscheinungen zeigten) oder die Meldungen und Aussagen im DDR-Fernsehen (besonders krasses Zitat aus einer damaligen Sendung: "Sie werden dort drüben zu blindem Ha.ss erzogen."): Es hörte sich alles lächerlich polemisch an, und auch ich glaube nicht, dass viele Leute solche Phrasen auch damals ernsthaft geglaubt hatten - nur äußern konnte man das ja nicht.
  • Junge Leute, die man seinerzeit (50er, 60er Jahre) über ihr Bild von der DDR und seinen Menschen befragte, gaben meist immer dieselben pauschalen Antworten: Die Menschen wären so arm, dass sie in alten, mehrmals geflickten Kleidern herumlaufen würden, sie hätten kein Modebewusstsein etc. Dabei handelte es sich bei den Befragten wohl meist um Menschen, die niemals in der DDR gewesen waren und auch sicher keinen wirklichen Bezug (durch Familie oder Freunde) dorthin hatten.
  • Vieles, was mit DDR zu tun hatte, war im Westen offiziell verpönt; bei sportlichen Veranstaltungen zum Beispiel zog der bundesdeutsche Verfassungsschutz einmal die DDR-Fahne ein, weil sie im Westen verboten war. Erst bei den olympischen Spielen 1972 in München, als eine Turnerin aus der DDR Silber gewann, änderte sich das mit der offen zur Schau getragenen Intoleranz (in Bezug auf die Menschen) wieder ein wenig: Es durfte zum Sieg sogar die DDR-Hymne gespielt werden.
  • Umgekehrt verfuhren DDR-Bedienstete mit vielen Dingen, die mit dem Westen zu tun hatten, nicht unähnlich: Als kritisch angesehene Literatur und anderes wurde etwa von westdeutschen per Bahn Einreisenden durch die Kontrolleure, wenn sie etwas fanden, konfisziert; nichts wurde bei den Kontrollen ausgelassen, denn - so war es den Beamten eingetrichtert worden - "alles, was übersehen wurde, könnte sich schlecht auf das Land auswirken".
  • Eine Umfrage in einer westdeutschen Nachrichtensendung hatte damals ergeben, dass noch in den 60ern 47 % aller befragten Bundesbürger der Meinung waren, es gäbe in der DDR Lebens.mittelkar.ten!
  • Aber es gab auch durchaus positive Vorurteile: So bestrachteten Wessis die Ossis auch als in besonderem Maß arbeitskräftig, tüchtig, (sportlich und auch sonst) leistungsfähig und mit einem großen Teamgeist versehen. Ein damaliger Reporter und DDR-Kritiker, der damals vielen aus der Führungsriege des DDR-Staates ein Dorn im Auge war, hebt hervor, er hätte es damals bewundernswert gefunden, wie die DDR-Bürger es damals verstanden hatten, das Beste aus der gegebenen Situation zu machen, sich irgendwie darin zu arrangieren (was per definitionem nicht unbedingt etwas mit sich abfinden, zu tun hat!).
  • Zitat eines damaligen DDR-Verkehrspolizisten, der einen Wessi angehalten hatte und von diesem auch beschimpft wurde: "Er wünschte mir, dass ich mal ein Paket aus dem Westen bekäme, damit mir wieder einfiele, dass ich ein Deutscher wäre." (Er sprach dies mit monotoner, nüchtern seiner Dienststelle berichtender Stimme; man beachte auch den Konjunktiv -> als hätte er eine Distanz schaffen wollen zwischen dem, was er wirklich gefühlt hatte, und seiner Pflicht. Jedenfalls glaube ich, er hätte dann lieber gesagt: "Deutscher bin" statt "Deutscher wäre", da er beim Reden den Eindruck machte, als wäre ihm unwohl dabei gewesen.)
  • Gäste, die ihre Familien im Osten besuchten, hatten zumeist folgenden Eindruck: Sie waren willkommen, wurden besonders herzlich aufgenommen, man freute sich offensichtlich über den Besuch und gab sich große Mühe mit der Bewirtung, es gab so etwas wie ein Festmahl (also mit dem, was zu bekommen war) - aber es war auch laut der Aussagen eine wehmütige Atmosphäre zu spüren.
  • Wer aus dem Osten das Glück hatte, Westdeutschland zu besuchen, genoss die Freiheit und Offenheit natürlich, wenn ihm auch verständlicherweise nicht alles gefiel. Und man bemerkte, dass es einen Unterschied im Geruch gab: Während der Westen für den Ossi eher süßlich roch, verbreitete sich im Osten für die verwöhnte Wessinase eher ein rauchiger Geruch (vermutlich von den Industrieanlagen) und es sah ziemlich grau aus. Auch solche Sinneseindrücke haben wohl in einem gewissen Maß einst die Sicht auf die "andere Seite" geprägt.

Karin 16.12.2006, 01.03

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden

2024
<<< November >>>
Mo Di Mi Do Fr Sa So
    010203
04050607080910
11121314151617
18192021222324
252627282930 

Für Fairness!
Gegen Intoleranz!






Ich fotografiere mit:



Sony Alpha 57
(seit 2012)



Fotoaktionen



Teilnehmerliste


Meine Empfehlung
für Online-Autoren:


PageWizz
Letzte Kommentare:
Martina:
Das Stress vermeiden ist denke ich ein ganz w
...mehr
Martina:
Da bin ich dabei, eigentlich hab ich mit Yoga
...mehr
HsH:
Ich bin froh, dass mein Baum die Klappe hält
...mehr
Ingrid:
:Häh?: ... Ich dachte es heißt Adventkalend
...mehr
Anne:
Hallo Karin!Ich bin eisern, ich gebe nicht au
...mehr
Seit dem 03. Januar 2012:


Beruflich biete ich:

Texte, Lektorat und Ãœbersetzungen

Nebenschauplätze:

Frau und Technik

NEW: Utopia - International Version

NOUVEAU: Utopie francophone

Lebensharmonie

Mein Jakobsweg - Reiseblog 

Notizen und Gedanken



Glück ist ein Duft,
den niemand verströmen kann,
ohne selbst eine Brise abzubekommen.
Ralph Waldo Emerson (1803-1883)







Ein Träumer ist jemand,
der seinen Weg im Mondlicht findet,
und die Morgendämmerung
vor dem Rest der Welt sieht.

Oscar Wilde (1854-1900)


Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag,
an dem Du die 100%ige Verantwortung
für Dein Tun übernimmst.

Dante Alighieri (1265-1321)


Mein Wunschzettel
[klick]






Blogger United


Interne Welten
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3