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Familienkaffeeklatsch

Schon im Auto zum Geburtstagskind, meiner Tante, ließ mein Onkel, der uns abgeholt hatte, im Laufe der beiläufigen Konversation eine von den Bemerkungen ab, die eigentlich sarkastisch wirken sollen und an die man eigentlich gewöhnt sein sollte, da es nun mal zu seiner typischen Art gehört, die aber trotzdem nervig, mitunter für zartere Gemüter sogar ungewollt und also unbemerkt verletzend wirken können, auf jeden Fall aber taktlos sind, obwohl er sonst so gepflegt auftritt und ein sehr intelligenter Mensch ist, der sich auch entsprechend weltlich verhält und sich auch so ausdrückt. Ich hatte das Thema beiläufig auf die standesamtliche Hochzeit meines Cousins mit seiner Frau gebracht (die beiden befinden sich momentan noch in Griechenland) und dabei vorsichtig nachgefragt, ob sie denn nur im kleinen Kreise gefeiert hätten, da wir ja nicht eingeladen worden waren, sondern erst im Nachinein per Telefon darüber informiert wurden: »Wir haben geheiratet.« Es stellte sich heraus, dass außer den Eltern des Cousins (diejenigen, wohin wir gerade unterwegs waren) von unserer Seite der Familie niemand eingeladen gewesen bzw. dort war. Also nur die Familie der Frau und einige Freunde, die dort in der Umgebung wohnen. Genau an der Stelle äußerte mein Onkel jene Bemerkung, die natürlich nicht so gemeint, aber in meinen Augen auch keineswegs angebracht oder gar korrekt war. Nun, da ich ihn ja wie alle anderen in der Familie kenne, sagte ich dazu nichts. Wobei ich hinzufügen muss, dass ich in der Familie auch nicht gerade diejenige bin, die Unruhe stiftet geschweige denn als erste den Mund aufmacht, wenn sie etwas juckt. Es reicht ja schon, dass ich im engeren Familienkreis die Jüngste bin und dadurch mein Wort in der Familie sowieso nicht viel zählt bzw. es oft niemanden so recht interessiert, was ich zu sagen habe; und wenn ich mal meinen Senf dazugebe, wird mir dann eventuell zwischen den Zeilen, im übertragenden Sinne zu verstehen gegeben: »Du hast ja sowieso keine Ahnung, Dir fehlt es an Lebenserfahrung, Deine Denkweise ist unlogisch und Deine Argumentierung pauschal falsch... Am besten, Du hältst den Mund und lässt uns Alte unsere trivialen Weisheiten fachsimpeln.« etc. In Form eines kurzen und knappen Kommentares, der kaum Diskussionsspielraum lässt, obwohl es natürlich nicht so aussehen soll und vielleicht auch nicht bewusst in der Absicht liegt. Mag sein, dass nur ich das so empfinde. Schießlich bin ja nur ich das Jüngste Rad am Wagen. Auch wenn meine Cousinen (die diesmal nicht dabei waren, die eine arbeitet im fernen Salzburg an ihrer Magisterarbeit und die andere ist mit der Mutter nach Polen auf Verwandtschaftsbesuch gefahren) nur wenig älter sind als ich - die ältere noch studierend im Dienste der Wissenschaft, die andere im Grundschulreferendariat, während ich bereits gearbeitet habe (wenn ich nicht gerade eine solche suchte). Aber von dem Nesthäkchenimage komme ich so schnell nicht weg. Ich denke mal, auch wenn ich mal von zu Hause ausgezogen sein werde (wie schnell das gehen wird, hängt zu einem erheblichen Anteil natürlich auch von meinen beruflichen Perspektiven ab), wird es eine Weile dauern, bis ich als vollständig erwachsener Mensch behandelt werde, der sich nicht dauernd irgendwas sagen lassen muss. Extrem ausgedrückt, zum besseren Verständnis, kommt es mir manchmal zumindest so vor.

Aber natürlich mag ich meine Familie und freue mich, wenn alle oder auch nur mal einige mal wieder zusammenkommen, über dies und das reden und man die eine oder andere Neuigkeit erfährt. Auch wenn sich das eine oder andere wiederholt, wird es niemals langweilig. Es sind letztlich auch diese kleinen Eigenheiten, Anekdoten und auch Rituale, die im Übrigen zu den wenigen Dingen gehören, die zuverlässigen Bestand haben, an die man sich auch immer wieder gern mit einem Schmunzeln erinnert, die dem Leben eine Festigkeit geben, die nur durch die eigenen Wurzeln erst ermöglicht wird und auch etwas Schönes ist. Was ich damit sagen will: Ich komme gut mit meiner Familie aus, ich schätze sie, und sie gehört zu den guten Familien. Dass einem an den eigenen Lieben auch mal die eine oder andere Gegebenheit nervt oder die Rolle, die man darin einnimmt, einen nicht immer so gut gefällt, ist dabei wie auch in allen Gesellschaften »draußen« völlig normal, betrifft aber letztlich nur einen selbst. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Und ich kann damit umgehen. Das tue ich doch schon die ganze Zeit. Nicht nur, indem ich darüber reflektiere und mir alles, was ich empfinde, bewusst mache. Sondern auch, weil ich durch meine Denkweise meine innere Einstellung steuere, die aus den Schlüssen resultiert, die ich im Laufe der Zeit und Erfahrungen für mich gezogen habe und die letztendlich auch mein Handeln bestimmt. Dieses Handeln besteht in dem Fall darin, dass ich zum Einen gelernt habe, vieles zu akzeptieren bzw. locker zu sehen. Ich habe nicht den Drang, mich den anderen unbedingt aufzuschwatzen (Nachteil: Ich kann mich auch in anderen Lebensbereichen sehr viel schlechter »verkaufen«, aber auch hier habe ich den Willen und Anspruch, mich langfristig zu verbessern bzw. bin überzeugt, dass ich mir zunehmender Erfahrung und Alter an Souveränität und Selbstsicherheit gewinnen werde), sondern behalte mir das Recht vor, mir meinen Teil zu denken, wenn ich mal wieder nicht zu Wort gekommen bin (wobei die meisten Dinge sowieso entweder belanglos sind oder meine Anmerkung wohl nicht die Wende im Gespräch oder gar neue Erkenntnisse gebracht hätte - weder für mich noch für die anderen; so denke ich mir das zumindest zu meiner eigenen Besänftigung, weil ich auch nicht der Mensch bin, der sich aufregt oder aus einer Mücke einen Elefanten macht).

A propos Elefant (es folgt eine kurze, zugegeben biedere - aber welche Familienanekdote ist das schon nicht, und gibt das nicht letztlich wieder so ein Gefühl von Zu Hause, von Heimat? - Anekdote, die bei uns schon fast zur Tradition gehört): Mein Onkel (der mit dem aktuellen Geburtstagskind verheiratete) hat in dem Teil des Wohnzimmers, der fast wieder ein eigener Raum ist, und wo der Kaffeetisch steht, seit vielen vielen Jahren ein kurioses, eigentlich ganz normales, Bild hängen; ein relativ kleines Elefantenbild, darum ein vergleichbar riiiiiiesiger, dicker Goldrahmen. Dieser Gegensatz und Kontrast veranlasste wie gewöhnlich auch heute meinen Cousin, der mit seiner Lebensgefährtin und dessen behindertem Kind da war, zu einem schmunzelhaften Kommentar dazu. Und die Pointe? Es gibt keine. :D Ich wollte das nur mal so nebenbei erwähnt haben. Wahrscheinlich um das Sommerloch zu füllen, das uns doch alle irgendwie zu umgeben scheint. Dabei weiß ich genau, dass ich keine gute Entertainerin bin. Ich bin es nie gewesen. Wie hätte ich mich denn auch dazu entwickeln sollen? Ich denke, das ist wieder einmal eines dieser Beispiele, die belegen, dass es doch wohl mehr das soziale Umfeld als die Gene sind, die den Charakter formen. Aber: Wie man mit diesem Basismaterial umgeht, wie man es nutzt oder verwirft oder es irgendwie anders gestaltet, je nachdem, wie man glaubt, seine Ziele (und welche?) besser zu erreichen und am Ende glücklicher zu leben, also wie und warum man sich verändert, darauf kann man schon bis zu einem gewissen Grad Einfluss nehmen (die Grenze des Einflusses liegt da, wo der Einfluss des Zufalls, des eigenen, künftigen Schicksals, und der anderer Menschen beginnt; schließlich lebt ja keiner unter einer Käseglocke, und wir können auch nicht voraussehen, welchen Menschen wir wo begegnen und was uns widerfahren wird etc.). Doch das ist manchmal auch ein harter Kampf und der Weg dorthin weit. Vollkommen umkrempeln kann man sich nicht, und das ist meiner Ansicht nach auch gut so, weil alles und jede Eigenschaft meist zwei Seiten hat und davon die positive, die einem selbst und anderen ein Geschenk ist, oftmals überwiegt. Das sollte man bei jedem Schritt bedenken und bevor man irgendeinen vermeintlichen Ballast abzuwerfen und durch etwas anderes auszutauschen versucht, lieber dreimal in den Spiegel schauen. Im Zweifel für den Angeklagten. Sich selbst treu bleiben und nicht zu viel Selbstkritik üben. Ich bin so, das hat schon seine Richtigkeit und seine Gründe.

Wenigstens hat zu meinen individuellen Eigenarten noch nie jemand gesagt: »Das liegt in der Familie.« Schon allein das ist für mich ein Grund, so zu bleiben, wie ich bin. Nicht aus Trotz oder Verleugnung meiner familiären Wurzeln. Es gibt schon Sachen, die ich meiner Familie verdanke (ich meine jetzt nichts materielles). Manche Wertvorstellungen zum Beispiel. Wesentliche Züge meiner Persönlichkeit hingegen, worauf sich alles andere im Laufe des Lebens aufbauen konnte, sind allenfalls ein neu kombiniertes Produkt meiner Eltern. Die eine Hälfte meiner Wurzeln wurde zusammen mit meiner Mutter beerdigt, so dass ich heute gar nicht mehr so nachvollziehen oder nur erahnen kann, was ich überhaupt von ihr habe (vom Äußeren natürlich abgesehen). Dafür hatte ich viel zu kurz die Ehre, sie zu kennen, und das in einem Alter, wo man noch mehr oder weniger in seiner eigenen Welt lebt (sieben Jahre sind jedenfalls in dieser Hinsicht keine lange Zeit).

Aber ich wollte ja eigentlich nur von der Familienfeier berichten und keinen Vortrag darüber halten, was die Familie mir bedeutet und wo ich für mich und mein Leben die Grenze ziehe. Dass ich mich zwar freue, hin und wieder alle wiederzusehen, dass ich mir aber auch nicht in mein Leben dreinreden lasse - auch wenn das für manche noch so schwer zu verstehen ist. Dass mir gelegentliche Frotzeleien über mein Äußeres und andere Belanglosigkeiten (»Du siehst ja sooo blass aus, gehst Du denn gar nicht in die Sonne? Hängst wohl zu viel vor dem Computer rum. Es sieht ja aus, als wärst Du krank; und was für einen Eindruck macht das denn. - Heller Hauttyp? Haha, was ist das für eine Ausrede.« Na ja, so ungefähr, nicht ganz wortwörtlich wiedergegeben, ich führe ja auch nicht an jedem Kaffeetisch Protokoll) zum einen Ohr rein und zum anderen wieder herausgehen, zumal es eh in vielen Fällen immer dieselben Phrasen sind. Natürlich gibt es dann auch (meist vonseiten der jüngeren Generation) immer wieder Menschen, die dagegenhalten (in dem einen Beispiel nannte mein Cousin den Gegenstand der Unterhaltung »vornehme Blässe«).

Doch das war eigentlich auch eher so ein Thema am Rande, denn das Themenspektrum ist ja bekanntlich bei solchen Familientreffen meist unerschöpflich (und nein, heute blieben die Alten - in der Elterngeneration haben schon alle die 60er-Grenze überschritten - nicht, wie man das oftmals zu solchen Anlässen erwartet, beim Thema Gesundheit hängen, wozu es auch nichts Neues zu berichten gegeben hätte).

Zwischen den Vorzügen von Geothermie und den neuesten Entwicklungen und Makeln von Navigationssystemen erwacht das gehandycapte Mädchen plötzlich zum Leben, und während der eine oder andere per Klopfzeichen mit ihr kommuniziert, legt sich eine wohltuende, friedliche Stille in den Raum. Später bei den kuriosen, wahren und/oder selbst erlebten kuriosen Anekdoten wird sie so furchtbar müde, dass sie darüber einschläft, und wacht erst wieder auf, als mein Onkel (der, mit dem wir gekommen sind) die Abenteuergeschichte aus den Endsiebzigern, wo er mit Frau und Ente (dem Auto!) bei zwei Metern Schnee auf dem Rückweg aus der polnischen Pampa eine richtige Odyssee erlebte (aber die Ente hat das alles mitgemacht ;)) bis sie irgendwann (!) einmal zu Hause ankamen.

Nun fand auch diese Familienfeier irgendwann ein Ende, und auch wenn ich hier so lange und langatmig geschrieben habe und dabei so manches Mal gedanklich ausschweifend wurde (ich denke mal, hin und wieder muss es doch mal sein, auch wenn es hauptsächlich Selbstzweck ist und sich für Außenstehende vielleicht langweilig liest - dafür schreibe ich ja hier auch noch anderes), so ist die Zeit doch relativ schnell vergangen. Es waren nicht länger als drei Stunden, die ich alles in allem sehr genossen habe, ebenso wie die vorüberziehende Eifellandschaft auf der Fahrt.

Meine Stimmung war im Groben von einem typischen, gemächlichen Sonntagsfeeling geprägt, in dem ich neue Kraft wofür auch immer getankt habe. Und das, obwohl der Morgen nicht so kraftvoll, sondern vielmehr mit einem Kreislaufkollaps, begonnen hatte. Tja, solche Ausmaße nimmt die Hitze also schon an... Ich möchte aber betonen, dass das bei mir nur allenfalls wenige Male im Jahr vorkommt. Damit Ihr Euch mal keine Sorgen macht. ;)

Euch allen einen erfolgreichen, aber nicht zu schwer bepackten, Wochenstart!

Karin

Karin 17.07.2006, 01.25

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