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Mängelexemplar (Sarah Kuttner) - Rezension

Mein Interesse an dem Buch Mängelexemplar von Sarah Kuttner wurde durch die Tatsache geweckt, dass es sich hierbei offenbar um eine zeitgemäße Thematik handelt.

Die Beschreibung auf dem Klappentext suggerierte zudem, dass diese Story trotz aller Ernsthaftigkeit humorvoll und kurzweilig umgesetzt sei. Abgesehen von der Thematik war es somit auch diese interessante Mischung, die mich neugierig auf dieses Buch machte. Ich wollte sehen, ob es hier tatsächlich gelingt, die ernsthaften Themen so zu verpacken, dass der Humor sie nicht lächerlich macht. Denn in der Tat sind Depressionen, Angststörungen und Lebenskrisen sehr sensible Themen. Zugegeben, ich war vor Beginn der Lektüre auch ein wenig skeptisch, ob dieser »Spagat« gelingen würde.

Das Cover halte ich für gelungen. Es zeigt schlicht eine hellgraue Struktur aus zerknittertem Papier. Unten links ist eine schwarze Sicherheitsnadel abgebildet, die teils durch dieses »Papier« gestochen ist. Die schwarzen Schriftzüge des Titels, Autorinnennamens und Verlags sind klein gedruckt. Die Schrift ähnelt einer Art handgeschriebener Druckschrift, als hätte jemand sie etwas unsicher und im bemühten Versuch, sauber und kontrolliert zu schreiben, dort hingeschrieben. Diese einfache, suggestive Darstellung passt meines Erachtens gut zu einem Roman mit dem Titel »Mängelexemplar«. Es symbolisiert Schwächen, von denen jeder Mensch welche hat (Nobody is perfect). Manche etwas mehr, manche kommen vielleicht besser damit zurecht und haben es leichter, sich und ihre Schwächen anzunehmen, als die Protagonistin des Romans. Die Sicherheitsnadel symbolisiert für mich ein Sicherheitsbedürfnis. Aber auch das Bedürfnis, sich unter Kontrolle zu behalten. Die Hauptperson dieses Buches hat auch große Angst vor einem Kontrollverlust, was ihre Symptome mitunter verstärkt. Auch dieses kleine Detail der Umschlaggestaltung wurde hier also gut durchdacht und ist keineswegs wahllos konzipiert.

Das Taschenbuch besteht übrigens aus ausreichend stabiler Pappe. Zur zusätzlichen Stabilisierung ist dieser Pappumschlag zudem nach innen umgeklappt. Im Innenteil steht noch einmal die Beschreibung sowie die Kurzvita der Autorin. Die Schriftgröße ist optimal zum entspannten Lesen.

Eigene Inhaltsangabe

Als Karo Herrmann kurz hintereinander ihren Job bei einer Medienagentur, ihren egozentrischen Freund Phillipp, mit dem sie sich zuletzt nur noch gestritten hat, und einige »Freunde«, von denen sie sich selbst verabschiedet hat, verliert, verliert sie auch den Boden unter den Füßen. Sie bekommt plötzliche Panikattacken und hat diverse Anflüge von Depressionen, die sich unter anderem auch darin äußern, dass sie häufig nicht immer aus einem erkennbaren Grund in Tränen ausbricht. Nachdem ihr klar geworden ist, dass sie ohne Hilfe da nicht herauskommen kann, wendet sie sich an eine Psychotherapeutin und an eine Psychiaterin, später den Psychiater, der diese vertritt. Ihre Mutter, zu der sie in ihrer Kindheit ein schwieriges Verhältnis hatte, unterstützt sie in dieser schweren Zeit, und während der Zeit, in der es am schlimmsten ist, wohnt Karo bei ihr.

Unterstützung findet sie auch bei Nelson, ihrem besten Kumpel, und dessen Frau. Er unternimmt regelmäßig etwas mit ihr, um sie von ihren Problemen abzulenken. Auch vermag er es, sie mit sarkastischem Humor, den sie auch besitzt, wieder aufzubauen. Langsam bessert sich ihre Situation wieder, wenngleich es schwer ist, zumal es ihr schwer fällt, sich ihre Probleme einzugestehen. Wie ihre Psychotherapeutin es ihr einmal sagt: Sie nimmt alles Mögliche in ihrem Umfeld war, nur sich selbst spürt sie nicht. Bzw. sie muss es erst allmählich lernen. Das ist natürlich ein schwieriges Unterfangen, wo sie es doch lange gewohnt war, sich hinter ihren Witzen zu verstecken, bloß keine Schwäche zu zeigen. Hinzu kommt ihre Ungeduld. Sie will meist sofort Ergebnisse sehen, obwohl klar ist, dass es mit der Psyche nun einmal nicht so läuft und alles ein Entwicklungsprozess ist. Zu ihrer Heilung trägt unter anderem auch ihre Affäre mit David bei, den sie bei einem Medienevent kennen lernt. Doch auch dies ist nicht von Dauer und zudem teils ambivalent. In dieser schweren Zeit unterhält sie auch Kontakt zu ihrer Freundin Anna, und stellt dabei fest, dass auch sie so ihre Probleme hat. Das verbindet sie noch mehr.

Als Karo eines Tages überraschend von ihrer ehemaligen Medienagentur die Nachricht bekommt, dass sie projekteweise als Freelancer wieder für sie arbeiten darf, ist das natürlich erfreulich. Ihr psychisches Leiden ist zwar noch nicht völlig überwunden, aber sie lernt immer mehr, es anzunehmen. Denn sie erkennt (besser spät als nie), dass die Angst vor der Angst diese noch schlimmer macht. Außerdem hat sie sich nun in Max, ihrem langjährigen Kollegen, mit dem sie jetzt wieder eng zusammenarbeitet, verliebt, mit dem sich eine Beziehung anbahnt. Der verständnisvolle und sehr ausgeglichene Max, der so ziemlich das Gegenteil von ihr darstellt, nimmt sie so an, wie sie ist, mit all ihren Macken, und baut sie auf seine einfühlsame Art auf.

Die Handlung des Romans erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa einem Jahr. Sie beginnt mit einer Szene aus der Zukunft und springt dann ein Jahr zurück, als das Übel seinen Lauf nahm. Von da an wird chronologisch erzählt, bis die Geschichte wieder an den Ausgangspunkt gelangt, diesen passiert und dann abschließt. Wie, möchte ich nicht verraten.

Meine Eindrücke

Schon mit dem ersten Satz erfährt der Leser sehr direkt und knallhart, worum es hier hauptsächlich geht bzw. worum sich der ganze Rest ranken wird. Die Erzählung legt sofort los, ohne lange Vorrede und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So ist man denn auch unmittelbar mittendrin im Geschehen und folgt der spritzigen und den Nagel auf verblüffende Weise auf dem Kopf treffenden Schreibweise Seite um Seite.

Menschen, die gerne mal zwischendurch etwas weiterlesen wollen und eventuell schnell die Geduld bei langen Kapiteln verlieren (für mich spielt die Kapitellänge hingegen nur bedingt eine Rolle wenn's fesselt und gut mit ein paar Absätzen eingeteilt ist, können Kapitel gerne auch mal länger sein), wird es freuen, dass hier die Kapitel meist recht kompakt sind, selten mehr als 10 Seiten. Zudem sind diese noch in sinnvolle Absätze aufgeteilt. In diesem Fall hätte es mir aber auch nichts ausgemacht, wenn die Kapitel 20 oder 30 Seiten lang wären.

Der Storyverlauf hatte in Kombination mit dem tempo- und energiereichen Schreibstil ohne lange Bandwurmsätze (sondern stets prägnant) und mit natürlich wirkender wörtlicher Rede oft eine solche Sogwirkung für mich, dass ich einfach immer weiter lesen wollte, noch ein Kapitel, und noch eins... Ich habe das Buch in drei Tagen durchgelesen. Sicherlich wäre es auch schneller gegangen, aber a) habe ich auch noch anderes zu tun und b) möchte ich meine Lektüre auch genießen. Hätte ich es in einem Rutsch gelesen, hätte ich doch viel weniger von dieser köstlichen Unterhaltung mit ernster Komponente gehabt! Denn die Kombination »witzig, mit einem Augenzwinkern erzählt« und »glaubwürdige Schilderungen eines an sich ernsten Themas« ist in diesem Fall tatsächlich gelungen. Auf diese Weise zieht es auch nicht unnötig runter, ist aber zugleich dennoch emotional. An so mancher Stelle war ich berührt und konnte bei vielen Gags nicht umhin, laut aufzulachen oder zumindest zu schmunzeln.

Ich war zwar längst nicht immer einer Meinung mit der Protagonistin (im Gegenteil), und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass so ein Charakter ziemlich anstrengend für das soziale Umfeld sein kann, aber dennoch war sie mir in einigen Punkten irgendwie sympathisch. Aber auch die anderen Figuren sind meiner Ansicht nach ausreichend gut charakterisiert. Es sind ja nicht allzu viele, so dass ein Durcheinanderkommen quasi vollkommen ausgeschlossen ist.

Lediglich manchmal kamen mir die Witze oder vereinzelte Detailbeschreibungen etwas übertrieben / überdreht vor. Klar, das passt wiederum zur Hauptperson. Trotzdem hatte ich ganz vereinzelt das Gefühl, dass dies ein wenig übers Ziel hinausschoss. Diese übertriebene Witzigkeit barg mitunter eine kleine Gefahr, dass dieser Humor leicht künstlich wirken konnte. Was mir außerdem aufgefallen ist, ist, dass stellenweise die Sätze nicht sehr variantenreich sind und es ab und zu auch mal Wiederholungen gibt. Doch auch diese kleinen stilistischen Schwächen vermochten mein Lesevergnügen nicht maßgeblich zu schmälern.

Fazit

Durchaus lesenswert! Wer sich darauf einlässt und über die kleinen stilistischen Schwächen hinwegsehen kann, wird nicht nur sein Vergnügen damit haben, sondern auch einiges aus diesem Roman mitnehmen können.

Karin 17.04.2011, 22.09

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