Ausgewählter Beitrag

Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Da der heutige Sonntag ja nicht gerade zum draußen Wandern einlädt, möchte ich Euch zumindest virtuell auf eine Reise führen. Es handelt sich um das erste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe:

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry, von Rachel Joyce

Harold Fry, pensionierter Mitarbeiter bei einer Brauerei, erhält eines Tages einen Brief von Queenie Hennessy. Queenie war einst eine Kollegin von ihm, die aus irgendwelchen zunächst nicht geklärten Gründen dann wegging. Sie waren befreundet, doch nachdem Queenie die Firma verlassen hatte, hatten sie keinen Kontakt mehr. In dem Brief teilt sie ihm mit, das sie an Krebs erkrankt ist. Mit einer Antwort tut sich Harold verständlicherweise schwer. Und als er den Antwortbrief zum Briefkasten bringen will, läuft er einfach immer weiter. Er beschließt, den ganzen Weg aus dem Süden bis nach Berwick-upon-Tweed, wo Queenie in einer Hospiz liegt, zu gehen. So, wie er ist, in Segelschuhen und nur mit dem Nötigsten läuft er jeden Tag eine Strecke in dem festen Glauben, das Queenie bis zu seiner Ankunft durchhalten wird. Er begegnet Menschen, denen sein Vorhaben imponiert, obwohl er selbst ein bescheidener Mensch ist. Er erlebt aber auch viel Hilfsbereitschaft.

Sein persönlicher Weg gibt ihm aber auch viel Raum, um über sein eigenes Leben nachzudenken. Erinnerungen kommen in ihm hoch, von seinem Elternhaus, der Mutter, die ihn verlassen hat, und dem Vater, bei dem er auch nicht willkommen war, von seinem Sohn David, den er meint, zu wenig unterstützt zu haben, und nicht zuletzt Gedanken an seine Frau Maureen, wie es dazu kommen konnte, dass sich ihre Ehe so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat. Werden sie wieder zueinander finden können? Wird Harold es rechtzeitig bis nach Berwick schaffen? Und was ist mit David? Dies sind die Fragen, die in dem Buch aufgeworfen werden und die den Leser bei der Stange halten.

Meine Rezension

Trotz einiger Längen zwischendurch hat mir das Lesen dieses Romans Freude bereitet. Es lässt sich flüssig und entspannt lesen und enthält auch einige nachdenkenswerte Aspekte. Im Verlauf der Erzählung werden ab und zu Informationen aus der Vergangenheit eingestreut, welche Neugierde dazu schüren, was sich dahinter verbirgt und was genau da geschah. Interessant finde ich auch, dass beide Perspektiven, Harolds und Maureens, berücksichtigt werden. Dann gibt es noch den Nachbarn des Ehepaars, dessen Frau verstorben ist und der Maureen freundschaftlich unterstützt, die alleine zu Hause bangt und wartet, bis er zurückkommt.

Beide Hauptpersonen durchlaufen im Verlauf der Handlung Höhen und Tiefen, sie entwickeln sich durch das Erlebte und Reflektierte weiter. Man kann also sagen, dass es sich auch um einen Entwicklungsroman handelt. Dies gefällt mir sehr gut und lässt diese Figuren noch glaubwürdiger herüberkommen. Es passt aber auch einfach zum Gesamtkontext der Geschichte. Die Kapitel sind im Durchschnitt nur knapp über 10 Seiten lang, so dass sich die Lektüre Kapitel für Kapitel sehr gut einteilen lässt. Dazwischen gibt es manchmal Abschnitte zwischen Szenenwechseln, so, wie es sinnvoll ist.

Auch den Gedanken des "Pilgerns" finde ich hier gut umgesetzt. Sich auf das Wesentliche besinnen, mit leichtem Gepäck auf ein Ziel zustreben - dabei auch etwaige Umwege in Kauf nehmend und alles mitnehmend, was man auf dem Weg erlebt - sowie Dankbarsein für das, was man hat und was einem unterwegs begegnet, aber auch Umgang mit schwierigen Situationen und weniger schönen Erlebnissen sowie Identitäts- und Sinnfindung. All diese Themen kommen in diesem Roman sehr schön zum Tragen und inspirieren zum eigenen Nachdenken.

Bleibt noch die Frage, wie authentisch die jeweilige Geografie in dem Buch wiedergegeben wird. Nun, es werden durchaus einige kurze Landschaftsbeschreibungen eingestreut, welche für mich als Mensch, der die dort genannten Gegenden noch nicht aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, glaubwürdig herüberkommen. Auch einige Details zu den Lokalitäten werden an passender Stelle erwähnt, die ich als authentisch empfinde. Dabei geht die Autorin nicht zu sehr ins Detail - die Passagen, in denen es mehr um das innere Erleben des Protagonisten auf seinem Weg geht, überwiegen. In der Erzählung, welche Straßen und Wege Harold jeweils nimmt, zeigt die Autorin allerdings deutlich, dass sie sich sehr gut mit der Infrastruktur Englands auskennt.

Ich kann diesen Roman jenen empfehlen, die sich gerne von Büchern inspirieren lassen, die völlig frei von Effekthascherei oder übertriebener Action sind. Für eingefleischte Thrillerfans ist dieses Werk folglich nichts. Mir hat es jedenfalls mit seiner flüssigen, manchmal hintergründig überraschenden Schreibweise gefallen.

Mit diesem Buch habe ich übrigens sowohl den Buchstaben U für die Buchtitel-Challenge abgedeckt als auch das Land Großbritannien für die Weltenbummler-Lesechallenge bereist.

Karin 06.01.2013, 18.31

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Treibgut

Scheint ein nettes Buch zu sein. Von einer AutorIn, die ein Buch über eine Wanderung schreibt, muss ich heute schon erwarten, dass sie die Örtlichkeiten und den Weg kennt. Sonst wäre es nur Schundliteratur.

vom 07.01.2013, 20.39
Antwort von Karin:

Stimmt. 
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