Ausgewählter Beitrag
Stadtleben, Alter und Was wir von "Ausländern" lernen können
Neulich im Bus: Eine ältere Frau steigt ein, kramt in ihrer Handtasche nach dem gültigen Fahrschein, fischt drei Mal hintereinander den falschen heraus und diskutiert dabei in aller Seelenruhe mit dem Busfahrer. Hinter ihr stehen noch einige andere Leute, alle geduldig in Reih und Glied wartend.
Ja, im Grunde sind die Menschen verständnisvoller als man denkt - oder liegt das an der Gelassenheit der Kleinstädter? Denn oftmals ist es doch so, dass es in Großstädten sehr viel hektischer zugeht - da fängt zum Beispiel schon ein Auto an zu hupen, wenn noch ein verspäteter Fußgänger schnell über den Zebrastreifen an der gerade umgesprungenen Ampel rennt, oder wenn ein anderer bei Grün zu langsam schaltet; oder regt sich der Autofahrer auf, wenn ein Fahrradfahrer ihn plötzlich kreuzt (auch wenn dieser nur einem Hindernis ausweichen muss); oder es wird eben in öffentlichen Verkehrsmitteln gedrängelt, was das Zeug hält.
Nichts von alledem ist in einem beschaulichen Städtchen wie dem, in dem ich wohne, zu bemerken. Jedenfalls nicht im normalen Alltag. Was in die Schlagzeilen kommt, sind kriminelle Ausnahmen, die man kaum glauben mag, da man nie selbst betroffen ist. Irgendwie nicht richtig, das zu vergessen. Morde, Raubüberfälle und sonstige Gewalttaten geschehen jeden Tag, auch in der eigenen Umgebung. Und das Schlimmste: Es trifft immer die Schwachen. Vor kurzem erst ist bei einem Einbruch eine alte Dame um die Mittagszeit in ihrem Haus von Einbrechern ermordet worden. Bekannte hatten sie vermisst, als sie nicht wie üblich ihrem Mann das Mittagessen zur Arbeit brachte, und so wurde das Blutbad schnell gefunden. (Die Täter laufen übrigens immer noch frei herum.)
Ein Mord ist immer schlimm. Aber der Mord an einer alten Frau um die Siebzig, die sich vielleicht nicht einmal hätte wehren können - das ist wirklich unfassbar. (Noch schlimmer ist nur der Mord an einem Kind.) Wo bleibt denn da der Respekt vor dem Alter?
Alter bedeutet auch Weisheit. Früher wusste man das noch zu schätzen. Da saßen Kinder und Eltern um einen großen Tisch herum und lauschten den reichhaltigen Geschichten und dem Rat der Großeltern. Heute ist alles darauf angelegt, möglichst lange jung und frisch zu bleiben. Alles, was alt ist, wird verdrängt und abgeschoben. So sieht man es oft.
Aber es geht auch anders. Inzwischen hat sich das Forever-Young-Bild in der Gesellschaft zumindest im Regelfall wieder gewandelt. Wäre ja auch paradox, wo die Gesellschaft immer älter wird, mehr als die Hälfte derselben vom geistigen Lebenshorizont zu wischen.
Doch zurück zur Busszene. Die Frau, die sich inzwischen entschlossen hat, ein neues Ticket zu kaufen, da sie das andere - vermutlich ein Tagesticket - nicht mehr findet, bahnt sich nun ihren Weg durch den überfüllten Bus. Es ist kein Platz mehr frei. Vorne sitzen ein paar Jugendliche, auf der anderen Seite Leute mittleren Alters, die wahrscheinlich von der Arbeit kommen. Nur einer steht auf, um der Dame seinen Platz anzubieten: Ein Afrikaner.
Und wehe dem, der es jetzt noch wagt, eine unverschämte Unwahrheit über "Ausländer" zu verbreiten!