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T. C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist

Normalerweise werde ich eher selten durch die großen Medien auf ein Buch aufmerksam, das ich später beschließe, mir zu kaufen. Meist entdecke ich Schmöker, die mich interessieren könnten, beim Stöbern in der Buchhandlung, oder ich lese irgendwo eine Rezension, die mich darauf neugierig macht, so dass ich mich näher informiere.

Im Falle von dem neuen Roman von T. C. Boyles, »Wenn das Schlachten vorbei ist«, war es jedoch anders. Zuerst erfuhr ich davon durch eine Buchvorstellung in der Zeitung. Diese brachte mich allerdings trotz des potentiell interessanten Themas noch nicht dazu, es mir anzuschaffen. Erst eine Literatursendung im Fernsehen, die ich mir eher zufällig angeschaut hatte, animierte mich dazu, mich näher damit zu befassen. Nachdem ich mich anschließend noch kurz im Internet schlau gemacht hatte, entschied ich mich dann für den Kauf. Da es mein erster Roman des Autors ist, kaufte ich damit gewissermaßen »die Katze im Sack«, aber das erschien es mir wert.

Inhaltsangabe

Schauplätze des Geschehens sind die beiden Pazifikinseln Anacapa (zu Beginn) und Santa Cruz am Santa-Barbara-Kanal, Nebenschauplatz das kalifornische Festland. Zeitlich siedelt sich die Handlung vor allem in der Gegenwart an, es gibt aber auch ein paar Rückblenden.

Mit einer solchen Rückblende startet der Roman. Der Leser wohnt den letzten Augenblicken auf dem Schiff Beverly B bei, die nach der gleichnamigen Frau benannt ist. Als es kurz darauf vor Anacapa kentert, ist die schwangere Beverly die einzige Überlebende. Ihr Mann und dessen Kumpel kommen dabei ums Leben. Beverly strandet auf Anacapa und hält sich in einer verlassenen Hütte voller Ratten mit dem dort gelagerten Konservenvorräten über Wasser, bis sie gefunden wird. Beim Szenenwechsel stellt sich irgendwann heraus, dass es sich bei Beverly um Almas (der Hauptperson Nr. 1) Großmutter handelt.

Alma ist Wissenschaftlerin und arbeitet praktisch für den kalifornischen Staat. Ihre aktuelle Mission besteht darin, die heimische Fauna und Flora auf den Santa-Barbara-Inseln wieder anzusiedeln. Was zunächst ökologisch vernünftig klingt, sieht schon etwas anders aus, wenn man sich vor Augen führt, WIE dies bewerkstelligt werden soll... In der Tat soll dies auf eine sehr radikale Weise erreicht werden, nämlich, indem die eingewanderten, teils ja nach Tierart bewusst oder unbewusst - »eingeschleppten« Arten von dort entfernt, also vernichtet werden.

So eine Vorgehensweise ruft natürlich schnell die Gegner auf den Plan: Tierschützer, die das Leben der Tiere in jedem Fall erhalten wollen und (eine nachvollziehbare Sichtweise) in dem Töten der eingeschleppten Tierarten zu Gunsten der bedrohten einheimischen Arten keine Lösung sehen. Angeführt werden die Anhänger dieser Sichtweise von Dave LaJoy, der mit einer Gruppe von Aktivisten das staatliche Abschlachtprojekt immer wieder zu boykottieren versucht und im Verlauf auch nicht davor zurückschreckt, diese Sache vor Gericht abzuhandeln. Und auch etwaige Fehlschläge (bei den Ratten auf Anacapa waren es die Witterungsbedingungen, später auf Santa Cruz ein Unfall) vermögen die Entschlossenheit nicht maßgeblich zu dämpfen.

In einer Rückblende erfährt man von einem prägenden Abschnitt in der Vergangenheit von LaJoys Partnerin, der Sängerin Anise. Diese lebte in ihrer Jugend mit ihrer Mutter und dem Schäfer, der bald darauf deren Lover wurde, in einem Schäferhäuschen auf Santa Cruz, also praktisch fernab der Zivilisation an einem Ort, wo es zu jenem Zeitpunkt mehr Schafe als Menschen gibt.

Eingestreut werden in dem Roman zudem beispielsweise Hintergründe zu den historischen Entwicklungen auf der Insel Santa Cruz, wie diese mehrmals ihre Besitzer wechselte und sich somit die Aufteilung und Pläne änderten, wodurch das Leben auf der Insel beeinflusst wurde.

Meine Rezension

Als jemand, der sich für die Umwelt und die Natur interessiert sowie dafür, wie diese durch den Menschen beeinflusst -  und leider allzu oft auch zerstört - wird, ließ mich die Thematik dieses Romans natürlich sofort aufhorchen. Zudem erschien mir der Konflikt, um den sich die Story rankt, als besonders knifflig. Schließlich »kämpfen« hier keine von Grund auf gegensätzliche Parteien gegeneinander, sondern zwei Fronten, die in einem bestimmten Punkt, nämlich WIE der Natur eines Lebensraumes am besten gedient sein könnte, unterschiedliche Ansichten vertreten. Und da es für beide Sichtweisen Pros und Contras gibt, ist es keineswegs klar, für welche Seite man als Leser möglicherweise Partei ergreift. Das ist schon einmal ein wesentlicher Vorteil, zumal man auf diese Weise umso neugieriger auf beide Perspektiven ist und Voreingenommenheit keinen Platz erhält. So erging es zumindest mir.

Beim Lesen musste ich außerdem feststellen, dass Sym- oder Antipathien für die Protagonisten hier völlig unabhängig von den vertretenen Positionen sind. Auch, wenn mir Alma sympathischer war und Dave als totales A...-loch dargestellt wurde, blieb meine Meinung zu ihren jeweiligen Standpunkten davon völlig unberührt. Das mag mein subjektives Empfinden sein, aber ich begrüße es sehr, dass diese beiden Aspekte (die Einstellung zu den Charakteren vs. Inhaltliche Betrachtensweisen) hier voneinander getrennt wurden. Nur so kann man sich schließlich ein differenzierteres Bild davon machen.

Positiv möchte ich ebenfalls bewerten, dass Sachverhalte und Zusammenhänge (auch Zusammenhänge aus dem ökologischen Gleichgewicht, zum Beispiel welche Art beeinflusst eine andere auf welche Weise) verständlich und ohne den Erzählfluss der Geschichte zu stören einfließen. Die Fakten halte ich für gut recherchiert (zumindest las es sich stimmig und glaubwürdig) und angemessen in die fiktive Story eingebunden. Noch ein paar Hintergründe mehr und mehr Tiefgang wären schön gewesen, aber da es sich im Großen und Ganzen um ein handlungszentriertes Werk handelt, kann ich mich damit abfinden.

Die Story habe ich als flüssig erzählt empfunden. Die Perspektivwechsel halten sich im Rahmen und sind aus meiner Sicht an den passenden Stellen eingebaut, so dass für den Leser keinerlei ungewollte Lücken entstehen. Ich hatte jedenfalls nie das Gefühl, es würde etwas fehlen die Handlung plätscherte einfach weiter.

Allerdings gibt es leider etwas Wesentliches, das meinen Gesamteindruck von dem Buch getrübt hat. Wesentlich deswegen, weil sich das in aller Regel nun einmal durch das ganze Buch zieht. Dieser Kritikpunkt betrifft den Schreibstil. Nun habe ich ja (noch) nicht den Vergleich und weiß daher nicht, ob Boyle immer so schreibt. In DIESEM Roman und als Boyle-Neuling erschien mir der Schreibstil jedenfalls mehr als gewöhnungsbedürftig. Bei den vielen Schachtelsätzen musste ich mich anfangs schon sehr anstrengen, um bei der Stange zu bleiben. Zudem empfand ich diese Schreibweise als recht langatmig, was in Kombination mit ellenlangen Kapiteln und wenig Absätzen sehr ermüdend und zeitweise demotivierend sein kann. Aus meiner Sicht wurde dadurch sehr viel von der Spannung genommen, die der Roman mit einem prägnanteren Schreibstil hätte entfalten können. Zwar hatte ich den Eindruck, dass sich dies im Laufe der Lektüre ein wenig verbesserte, aber das kann in bestimmtem Maße auch an dem Gewöhnungsfaktor liegen. So kann ich nur sagen: Das inhaltliche Potential wurde literarisch hier leider nicht ausgeschöpft.

Fazit

Gute Ansätze, eine Story mit viel Potential und einigen inhaltlichen Highlights, die auch zum Nachdenken anregt -  in der Umsetzung aus den genannten Gründen aber leider nur Durchschnitt.

Karin 22.04.2012, 19.59

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