Gerade in Zeiten wie diesen, wo immer noch viele Menschen einander
misstrauen und von einer pauschalen negativen Sichtweise eingenommen
sind, finde ich es wichtig, an die zahlreichen positiven Beispiele zu
erinnern, in denen das Zusammenleben von so genannten "Einheimischen"
und "Flüchtlingen" nicht nur funktioniert, sondern von einer
Offenherzigkeit und Freundlichkeit geprägt ist. Denn diese Offenheit
und eine Haltung, die auch eine Art "Vorschussvertrauen" impliziert, ist
die Voraussetzung für die Verständigung und somit dafür, dass wir ein
gegenseitiges Verständnis und Toleranz der jeweils anderen Sichtweise
entwickeln können.
Das hat in meinen Augen nichts mit Blauäugigkeit zu tun. Nur möchte ich mit diesem Beitrag ein klein wenig den übertriebenen Ängsten Einhalt gebieten, die zurzeit bei vielen - auch durch die Berichterstattung in den Medien - um sich zu greifen scheinen. Natürlich gibt es auf jeder Seite solche und solche. Aber in allen Fällen sind diese in der Minderheit! Gerade jetzt halte ich es für wichtig, sich dies bewusst zu machen.
Ja, die Anschläge in Paris waren schlimm. Auch ich habe mit den Opfern mitgefühlt und getrauert, auch ohne diese Menschen zu kennen. Genauso fühle ich aber auch mit all jenen, die vor den Kriegen auf dieser Welt - zum Beispiel in Syrien - oder vor anderen unerträglichen bis lebensbedrohlichen Zuständen wie Hunger, politischer oder persönlicher Unterdrückung oder was auch immer flüchten. Übrigens ist es Fakt, dass 7 der 10 Attentäter keine Flüchtlinge waren, sondern sich zum Zeitpunkt der Pariser Terroranschläge bereits in der EU aufhielten!
Warum bestraft man nun alle Flüchtlinge, nur weil sich herausgestellt hat, dass drei an den Anschlägen beteiligte Einzelpersonen irgendwann einmal über die Flüchtlingsrouten unbemerkt nach Europa gelangt sind? Und wohin gedenkt die EU die abgewiesenen Flüchtlinge bitteschön "zurückzuführen"? In ihrem eigenen Land ist doch schon fast alles zerstört, und jeder Stein, der noch auf einem anderen Stein steht, wird vermutlich bald von einem der an diesem Krieg beteiligten Länder und Gruppen - ob von Assads Truppen, den USA, den beteiligten EU-Ländern, Russland oder der IS, macht für die Opfer des Krieges auf allen "Seiten" letztlich keinen Unterschied - dort im Bombenhagel zerbersten und noch mehr Opfer fordern. Wo bleibt hier das Mitgefühl, die Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen?
Zugegeben, das letzte Mal, als es in Deutschland und Europa selbst einen Krieg gab und in diesem Rahmen Millionen von Menschen in einer Flüchtlingssituation oder auf eine ebenso grausame Weise in ihrem Leben bedroht wurden, ist ein paar Generationen her. Dennoch verstehe ich nicht, wie manche so etwas offenbar einfach vergessen können! Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, deren direkte Verwandte damals von jener Flucht aus den betreffenden Kriegsgebieten betroffen waren. Und auch alle anderen haben damals viel Schlimmes durchgemacht. Wie kann man nur so etwas totschweigen? Bei uns in der Familie wurden auch nicht viele Details darüber erzählt. Und was erzählt wurde, bezog sich vor allem auf deren eigene Perspektive (mein Großvater wurde wie so viele in diesen Krieg eingezogen und später vermisst, und dann war da eben die Flucht). Aber totgeschwiegen wurde es nicht.
Gerade dieses Mitgefühl scheint einigen Menschen in diesen Tagen abhanden gekommen zu sein. Aber das heißt nicht, dass dieses nicht auf lange Sicht wieder in deren Herzen zurückkehren könnte, wenn wir alle unseren Beitrag dazu leisten, ihnen diese übertriebenen Ängste zu nehmen, anstatt sie weiter zu schüren. Und eben selbst ein positives Gegenbeispiel in Wort und Tat bieten, überall dort, wo sich die Gelegenheit dazu ergibt.
Doch nun zurück zum Anlass dieses Blogbeitrags.
Diese Meldung hat mich heute an eine eigene Anekdote erinnert, die ich in meiner Jugend einmal selbst erlebt habe. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, waren zur damaligen Zeit in einem ehemaligen Restaurant bosnische oder serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo untergebracht. Auch heute sind - soweit ich weiß - noch dort Asyl suchende Menschen untergebracht.
Eines Tages auf dem Rückweg vom Einkaufen im Tante-Emma-Laden lud uns der Familienvater der zu dem Zeitpunkt dort untergebrachten Familie, mit dem wir ins Gespräch gekommen waren, ein. Einfach so. Sie boten uns etwas zu essen und zu trinken an. Das wenige, das sie hatten, teilten sie mit uns, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Wobei man die Gespräche, die gegenseitige Akzeptanz und einfach nur eine gesellige Zeit miteinander verbringen sicherlich durchaus als freiwillige Gegenleistung betrachten kann. All dies ist letztlich so viel mehr wert als Geld. Sachleistungen und Hilfe werden zwar auch benötigt, aber ein menschliches Miteinander ist einfach durch nichts zu ersetzen. Und in puncto Gastfreundschaft könnte so mancher Europäer etwas von den Flüchtlingen oder anderen Immigranten lernen!
Ein anderes Beispiel, in dem ich die Gastfreundschaft von Migranten erfahren habe, war vor einigen Jahren im Rahmen einer ökumenischen Veranstaltung mit Christen und Muslimen in meiner Stadt. Ich glaube, es fiel mit dem "Tag der offenen Moschee" zusammen. Auf jeden Fall war es zugleich der Tag des Fastenbrechens, das Ende des Ramadans, für die Muslime. Im Rahmen jener Veranstaltung fand nach dieser ökumenischen Messe in der Moschee in einem Saal gegenüber ein großes, ebenfalls kostenloses Bankett statt, zu dem natürlich auch alle Andersgläubigen eingeladen waren, die an der Veranstaltung teilgenommen hatten. Hier gab es dann die Gelegenheit zum weiteren Austausch, und auch hier war die Atmosphäre von Freundlichkeit, Gastfreundschaft und der Toleranz für verschiedene Meinungen geprägt. Auch hier galt dies für beide Seiten.
Wer also wirklich bereit ist, die jeweils andere Kultur oder zumindest die jeweils anderen Menschen kennen und verstehen zu lernen, wird immer Gelegenheiten dazu finden. Unabhängig davon, was extreme Strömungen von egal welcher Seite lautstark Gegenteiliges behaupten, ohne sich jemals auf einen Dialog eingelassen zu haben (was genau zu so einer voreingenommenen Sichtweise führt).
Vor etwa einem Monat erlebte ich spät abends auf dem Rückweg von einem Autorentreffen die folgende Situation: Das einzige noch freie Taxi, das mich vom heimatlichen Bahnhof nach Hause fahren konnte, war ein gemietetes Zusatztaxi ohne offizielles Taxischild auf dem Dach und ohne Taxiwerbung an der Seite. Auf dem gedruckten Pappschild stand zwar der Name eines richtigen, bekannten Taxiunternehmens meiner Stadt, aber meine erste Reaktion war trotzdem skeptisch. Ich wäre in der Situation auch dann zunächst misstrauisch gewesen, wenn eine andere Person (ohne erkennbarem Migrationshintergrund) hinterm Steuer gesessen hätte! Der Taxifahrer wirkte von Anfang an freundlich, und meine Intuition ließ mich schon ahnen, dass dies ein ehrlicher und vertrauenswürdiger Taxifahrer war. Dennoch verschwand meine Skepsis erst vollständig, nachdem er den Taxifunk eingeschaltet hatte. Denn natürlich hatte auch er meine skeptische Reaktion bemerkt. Im Taxi stellte ich selbstverständlich klar, dass meine Reaktion nichts mit ihm als Person zu tun gehabt hatte. Im Gegenzug äußerte der Taxifahrer Verständnis für meine Reaktion.
Wäre es nicht schön, wenn alle Menschen so ehrlich und ohne übertriebene Angst miteinander umgehen würden? Missverständnisse lassen sich meistens beseitigen, aber eben nur dann, wenn man offen miteinander umgeht und grundsätzlich bereit ist, Verständnis für die andere Seite aufzubringen. Wem das gelingt, der wird in immer mehr Situationen bestätigt bekommen, dass es neben den vorhandenen Unterschieden auch immer irgendwo Ähnlichkeiten gibt. Auf diese Ähnlichkeiten sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten, und darauf sollten wir im Rahmen einer Integration auf beiden Seiten aufbauen. Nicht auf das Trennende.
Denn die Vielfalt ist immer eine Chance. Alle Seiten können voneinander profitieren, menschlich, kulturell und auch auf die Wirtschaft bezogen. Unsere Wirtschaft ist ohnehin heute schon auf Zuwanderung angewiesen. Viele Flüchtlinge sind gut ausgebildet und es gibt unter ihnen genauso viele Talente wie bei den Menschen, die schon lange hier wohnen, auch. Jedes Potential sollte genutzt werden, anstatt gegenseitig aus Angst die Ellbogentaktik einzusetzen oder schwer überwindbare bürokratische Hürden zu setzen. Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen dahin kommen, dass sie Flüchtlinge nicht als "Problem", sondern als Bereicherung (und durchaus auch als Herausforderung aus beider Sicht) für die Gesellschaft betrachten können. Mit Mitmenschlichkeit ist es möglich, sich jeder Herausforderung, die das mit sich bringt, zu stellen. Gemeinsam sind wir stark!