Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, bei dem Thema einen Anfang zu finden. So viele Aspekte schwirren mir im Kopf herum, noch mehr gibt es Diskussionsbedarf, und vieles wurde auch schon gesagt, und ich möchte nicht einfach nur alle bereits erwähnten Punkte nochmals aufführen. Dennoch ist es mir wichtig, mich dazu zu äußern, und gibt es einige Dinge, die dabei besonders danach drängen, angesprochen zu werden.
Grundsätzlich kann ich mich
Irmgards Fragestellungen und Ansätzen schon sehr gut anschließen. Und auch
Oceans weiterführende Gedanken in Hinblick auf die Gesellschaft kann ich als Denkanstöße nur weiterempfehlen.
Wenngleich ich das mit der Prioritätensetzung bei der Finanzierung von Therapien gewissermaßen anders sehe. Ich meine, natürlich ist Präventionsarbeit noch wichtiger. Aber wenn es schon so weit gekommen ist und es irgendeine Chance gibt, einen Täter zu therapieren, dann sollte diese auch unbedingt genutzt werden, schließlich können davon u.U. +/- viele Menschenleben abhängen, wenn man diese Möglichkeit nicht nutzt und er in krankem Zustand später eventuell wieder auf die Menschheit losgelassen wird. Auch denke ich schon, dass das Geld dafür da ist und da sein sollte. Man müsste es dann nur eben an anderen Stellen zusammenkratzen, wo es überflüssig ist - Wäre es beispielsweise soo schlimm, wenn ein Politiker ein paar hundert Euro weniger bekommen würde, oder sehr vermögende Leute ein bisschen mehr Steuern ins Staatssäckel bringen würden? Würde es ihnen wirklich so weh tun, wie sie immer jammern und dann auch noch meist Recht bekommen? Aber das ist jetzt nicht das Hauptthema.
Zur eigentlichen Frage:
Wie hat es so weit kommen können bzw. wie hätte man es verhindern können? Hierzu habe ich ein interessantes
Interview gefunden, dessen Ansätze ich auch gut unterschreiben kann. Ja, ich denke auch, dass es Anzeichen im Verhalten geben muss und auch erwiesenermaßen gegeben hat, die die Gefahr einer solchen Tat bzw. die Tendenz dazu offenlegen können. In diesem Fall zum Beispiel hat der Täter noch kurz vor seiner Tat
Auszüge aus seinem Tagebuch (das er anschließend verbrannt hat) an seine "Freunde" gemailt. Irgendwo anders habe ich gelesen, dass er sich auch in diversen Foren ausgetauscht hat, und auch da muss man doch am Wortlaut bemerkt haben, was für ein versessener Hass in ihm gesteckt hat. Aus den Tagebuchauszügen geht übrigens auch hervor, dass er ein (reales) »Vorbild« für den Amoklauf hatte, nämlich den Amokläufer von Littleton, dass er ferner eine besondere Vorliebe für Waffen aller Art hatte, sowie dass er die Tat von langer Hand geplant hatte, es also keineswegs eine Affekttat war.
Fraglich ist indes immer noch und ist mir selbst unverständlich,
woher dieser Hass eigentlich kam. Für mich deutet in den Auszügen nichts darauf hin, dass die Ursache in dem Sinne aus der Familie stammt, schloss er doch in seinen eigenen Worten sich und seine Familie von diesem Hass aus. War er vielleicht frustriert, weil er so schlecht in der Schule war? Das kann wohl kaum ein hinreichender Grund sein, um solch einen Hass zu entwickeln, der in meinen Augen wohl umfassender ist und sich sicher nicht mehr nur auf die Schule und eine Liste von Personen erstreckte, die er ins Visier genommen hatte.
Im Übrigen scheint es mir so, als hätte er diese Liste ganz willkürlich erstellt, nicht auf diese Menschen persönlich bezogen, sondern er brauchte nur jemanden, auf den er diesen Hass kanalisieren konnte - wer dabei zur Zielscheibe wird, ist bei solchen Menschen, die schon so krankhaft handeln, doch ungefähr wie bei einem Würfelspiel: Wenn eine Zahl kommt, die dem Spieler nicht so gut gefällt, weil sie scheinbar sein Verlieren mehr begünstigt als seinen unbedingten Drang, gewinnen zu müssen, zu befriedigen, wird der ganze Hass dann auf diese projiziert; und die nächste Zahl, mit der er verliert, wird dann ebenfalls auf die Rote Liste gesetzt, usw.
Das bringt mich auf einen weiteren Gedanken:
Wir leben in einer Gewinnergesellschaft. Wenn einer in dieser den gestellten Anforderungen nicht gerecht zu werden glaubt, entsteht eine ganze Menge Frust, die mit der Zeit immer größer wird. Und wenn der nicht irgendwo auf normalem Wege (durch Hobbies, kreative Ausdrucksmöglichkeiten, Sport, um sich abzureagieren - am besten Mannschaftssport, um dabei gleichzeitig den Umgang mit Menschen zu lernen - usw.) rausgelassen werden kann, auch durch offene Gespräche über das, was diese Menschen belastet, stört, und was sie bewegt, aber auch, was ihnen persönlich wichtig ist und ob das einen angemessenen Raum hat (wenn nicht, muss so einer halt wie oben beschrieben geschaffen werden)... tja, wenn das nicht gegeben ist, dann kann (muss zwar nicht - aber man sollte die Gefahr schon ernst nehmen, indem man sich das vor Augen führt) es halt durchaus passieren, dass irgendwann eine Explosion folgt. Von wem auch immer.
Doch auch das kann man oftmals ermitteln, indem man aufmerksam hinschaut, und vor Allem, indem Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden können, an die man sich wenden kann, wenn einem etwas auffällt - natürlich ohne mit anklagendem auf den »potentiellen Amokläufer« zu zeigen, denn noch lange nicht jeder »Freak« ist automatisch gefährdet, so einer zu werden. Aber das alles kann man im Gespräch und durch Hinsehen und -hören, behutsam herausfinden, und wenn er trotzdem irgendwelche psychologische oder soziale Unterstützung braucht oder möchte, eine solche angemessene auch bieten.
Ein Punkt liegt mir unbedingt noch auf der Seele, den ich ansprechen will. Im Rahmen der Diskussion über die Ursachen taucht auch hin und wieder das Argument auf,
sozialer Rückzug und Außenseiterdasein könnte (natürlich, wenn noch gewisse andere, schon oft erwähnte Faktoren zusammenkommen) neben dem Gegenteil, nämlich einem entsprechend rohen, auch zu Gewalt neigenden sozialen Milieu, zu so einer Entwicklung führen.
Ich muss sagen, dass mir dieses Argument für sich genommen nicht ganz hinreichend erscheint. Wenn jeder, der in der Schule eine Außenseiterrolle einnimmt oder eingenommen hat, weil er »irgendwie anders« ist oder so gemacht wird, wenn jeder, der Frustrationserfahrungen mit anderen machen musste, weil er etwa gehänselt wurde oder sich nicht richtig angenommen oder verstanden fühlte und auch nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sich über seine Gefühle etc. auszutauschen, Gefahr laufen würde, so zu werden - dann wäre wohl auch ich ernsthaft gefährdet gewesen, zur Amokläuferin aufzulaufen. Aber dafür war ich wohl zu gutmütig und zu sehr Pazifistin, um irgendjemanden auch nur irgendwas Schlechtes zu wünschen (na gut, sauer war ich in solchen Situationen schon manchmal verständlicherweise - aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, diesen Ärger gegen andere zu richten). Hinzu kommt vielleicht noch, dass ich bei gesundem Bewusstsein war und somit bemerkt habe, dass das Verhalten einiger mir gegenüber eigentlich nicht böse gemeint war, so dass ich vieles letztendlich mit stoischer Ruhe und dem Versuch der Ignoranz hinnehmen konnte.
Ich will jetzt nicht das Argument, im Fall von solchen Persönlichkeiten, bei denen das die Tendenz zur Gewalt unter anderem auslösen und dann noch steigern kann, in seiner Tragfähigkeit mit dem
Aspekt der gewaltverherrlichenden Spiele auf eine Stufe herabsetzen. Was ich damit verdeutlichen will, ist dass man nicht den Einzelfall pauschalisieren kann. Was zu solchen Taten führt, ist letztlich immer ein
individueller Mix unterschiedlicher Ursachen, die in jedem Fall ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können oder wo auch mal ein Punkt fehlen kann. Auch wenn natürlich klar ist, dass es bestimmte wiederkehrende Muster gibt, aber im Einzelfall muss man doch immer wieder neu untersuchen, welche Wurzel in welchem Umfang letztlich eine Rolle gespielt hat.
Und letztlich ist es ja auch nicht unbedeutend, inwiefern die späteren Täter die Möglichkeit haben, ihre Phantasien / ihre Rachepläne / ihren Wahnsinn in die Tat umzusetzen, sprich:
Wieweit sie an die dafür benötigten Mittel kommen. Ich finde es jedenfalls sehr erschreckend zu lesen, wie leicht es in Deutschland ist, ganz legal in den Besitz von Waffen zu gelangen, mit denen auch Menschen getötet werden können. 10 Millionen legal erworbene Waffen sind
laut diesem Artikel hier im Umlauf - dem gegenüber stehen deutlich weniger illegale Waffen. Egal ob legal oder illegal - schlimm finde ich schon, dass es überhaupt so etwas gibt. Meinetwegen könnte sogar der Schützensport abgeschafft werden - gibt es keine schöneren und (im positiven Sinne) spannenderen Hobbies als auf Pappkameraden oder auf Plastikrosen am Schießbudenstand auf der Kirmes zu schießen?