Spatestens seit
"Esra" und
"Meere" ist die Diskussion wieder neu entflammt.
Die Diskussion darüber, ab wann in der Literatur das
Persönlichkeitsrecht eindeutig verletzt wird, und wann es in diesem Rahmen gerechtfertigt ist, in die
Kunstfreiheit einzugreifen.
Rechtlich stehen beide gleichberechtigt nebeneinander. In der Praxis
geraten sie jedoch immer wieder spätestens dann in Konflikt, wenn
irgendeine mit dem Autor bekannte Einzelperson sich selbst in einem
literarischen Werk wiederzuerkennen und mehr noch: denunziert glaubt,
obwohl sie gar nicht namentlich erwähnt und außerdem charakterlich etc.
so verfremdet wird, dass sie von der allgemeinen Öffentlichkeit nicht
wiedererkannt werden kann.
Im Fall "Esra" wäre womöglich niemand auf die Idee gekommen, Esra mit
der Klägerin in Verbindung zu bringen, wenn diese nicht laut "Das bin
ich!" gerufen hätte. Dabei hätte es genauso sein können, dass Esra
einfach nur ein Phantasiegebilde des Autors ist, in dem sich zwar seine
Erfahrungen widerspiegeln mögen - aber das ist der Interpretation des
Lesers überlassen. Die Dame hat es dementsprechend auf sich bezogen
interpretiert, und auf dieser einen Auffassung basiert dann das
Gerichtsurteil. Unabhängig davon, dass ansonsten alle möglichen Leute
hätten Pate für diese Figur stehen können - mal von der Option
abgesehen, dass sie vollkommen frei erfunden gewesen wäre, um
irgendetwas künstlerisch zum Ausdruck zu bringen.
Wie immer gehen die Meinungen darüber auseinander.
Einige sehen tatsächlich in der Figur der Esra die Ehre der klagenden Person verletzt.
Andere meinen wiederum, in dem Urteil eine Einschränkung der Kunstfreiheit, wenn nicht gar eine Form der Zensur zu erkennen.
Die Zensur von Medien, die etwa sexuelle Tabus der jeweiligen Zeit brechen, hat in Deutschland eine
lange Tradition. Angefangen mit Günther Grass' "Katz und Maus" und "Die Blechtrommel", bis hin zu den bekannten Fällen
"Mutzenbacher" und
"Mephisto".
Über das "Mephisto"-Urteil kann ich nun auch endlich wieder zum Thema zurückkommen.
Hier ist in Bezug auf die Kunstfreiheit versus Persönlichkeitsrechte Folgendes zu lesen:
"Die Richter sehen es im Falle einer Kollision der Kunstfreiheit mit dem
Persönlichkeitsrecht als nicht so entscheidend an, dass
Persönlichkeitsdaten verwendet werden, entscheidend sei die Vermengung
von realen und fiktiven Elementen. Für die Lösung sei es relevant, ob
und inwieweit das 'Abbild' gegenüber dem 'Urbild' durch die
künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Ein- und Unterordnung in
den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbstständigt erscheint,
dass das Individuelle, Persönlich-Intime zu Gunsten des Allgemeinen,
Zeichenhaften der Figur 'objektiviert' ist."
So lange man das beachtet, ist man also noch auf der sicheren Seite.
Und bei Erlebnisberichten oder biografischen Werken z.B., wo der Grad
der Authentizität naturgemäß so hoch ist, dass man kaum ausschließen
kann, dass sich jemand irgendwo wiedererkennen könnte, stehen diese
Personen ja auch nicht im Vordergrund. Dass man niemanden beleidigt und
keine intimen Details preisgibt, sollte denke ich immer
selbstverständlich sein.
Wenn alle Leute, die (vermeintlich) in der Literatur gleich welcher Art
auftauchen, gegen den Autor klagen würden, dann hätte - theoretisch
zumindest - auch das "Ehepaar Schnabbel" gegen Hape Kerkeling klagen
können, obwohl sie so anonymisiert und verallgemeinert beschrieben
werden, dass es wohl auf viele Ehepaare zutreffen könnte. Oder die
Österreicherin ("Gibt's 'n hier G'schäfte?"). Und ob er zuvor alle, die
in "Ich bin dann mal weg" namentlich genannt wurden, nach ihrem
Einverständnis gefragt hat, ist auch fraglich, zumal er zu dem
Zeitpunkt nach eigener Beschreibung noch gar nicht wusste, dass er das
Buch schreiben würde.
Bei anderen Berichtsformen, etwa in der
Presse,
ist die bloße Nennung eines Namens (wenn es sich z.B. um eine Person
von öffentlichem Interesse handelt) auch nicht strafbar - in diesem
letzteren Fall wäre es aber auch ziemlich absurd.