Als ich beim Stöbern in einem Online-Buchshop auf dieses Buch aufmerksam wurde, war für mich schnell klar, dass ich es haben und mir zur Pflichtlektüre auserwählen musste.
Beginnend mit der Thematisierung der drei Selbstmorde der Mitarbeiter, schildert der Roman
»Der Reaktor« von der französischen Autorin Elisabeth Filhol auf eindringliche Weise fachlich kompetent und zugleich in einem flüssigen Schreibstil den Alltag eines Zeitarbeiters in diversen Atomkraftwerken. Dabei lässt sie viele Details rund um die Lokalität eines AKW einfließen und baut interessante Fakten passend ein. So erfährt man beispielsweise, dass etwa die Hälfte aller in Frankreichs AKW arbeitetenden Menschen per Zeitarbeit eingestellt sind. Aber auch die physikalischen Gegebenheiten werden erläutert. Die Risiken, denen sie dort ausgesetzt sind, werden beim Lesen ebenso deutlich wie die Trostlosigkeit der ganzen Situation. Wie Nomaden ziehen sie, das heißt auch der Ich-Erzähler Yann und seine Kollegen Loic und später Jean-Yves (die allerdings in umgekehrter Reihenfolge im Buch auftauchen, da zuerst aus der Gegenwart erzählt wird und dann eine längere Rückblende folgt) alle paar Monate von einem gefährlichen Job zum nächsten. Ihre Gesundheit und ihre Strahlendosis, die sie zwangsläufig abbekommen, wird regelmäßig überprüft, und wenn sie eine gewisse Dosis erreicht haben, dürfen sie erstmal nicht mehr in diesem Beruf arbeiten.
Es ist zweifellos keine leichte Kost, die hier präsentiert wird. Allein schon inhaltlich, da diese Lektüre ein Mitdenken erfordert und wohl niemand, der bei Verstand ist, behaupten würde, sich »gerne« mit so einem Thema zu befassen. Aber es lohnt sich! Denn wer es gelesen hat, wird entweder seine Meinung bestätigt sehen, dass die Produktion von Atomenergie zur Stromerzeugung der reine Wahnsinn ist, oder - falls dies aus unerfindlichen Gründen noch nicht der Fall sein sollte - sie noch kritischer sehen als zuvor. Das Buch öffnet Augen, es schont den Leser aber auch nicht mit der Sachlage. Zugegeben, die Schachtelsätze, mit denen die Autorin häufig arbeitet, zwingen zu einem sehr konzentrierten Lesen. Und obwohl die nummerierten Kapitel recht kurz sind, meist weniger als zehn Seiten, ist das Buch keines, das man mal eben schnell so nebenbei liest. Nein, man muss es zwischendurch immer mal wieder absetzen, um das Gelesene erstmal sacken zu lassen. In weniger konzentrierten Phasen musste ich sogar den einen oder anderen Satz noch einmal lesen. Und auch die Strukturierung der Story, der Erzählstrang, ist gewöhnungsbedürftig, wirkt manchmal - wohl auch aufgrund der Flut der Informationen - etwas durcheinander. Dadurch habe ich mir beim einmaligen Lesen längst nicht alle Fakten im Detail merken können, schon gar nicht aus dem technischen Bereich. Doch das ist auch nicht unbedingt nötig, um die wesentliche Botschaft und die vorherrschende, nüchterne Atmosphäre aufzunehmen.
Besonders bedrückend fand ich die Schilderungen der historischen Geschehnisse im Zusammenhang mit dem verheerenden Atomunglück in Tschernobyl. Neben allem anderen trugen diese maßgeblich dazu bei, dass ich nach Zuklappen des Buches am liebsten in die Welt schreien wollte: Leitet sofort den unwiderruflichen Atomausstieg ein! Es bleibt zu hoffen, dass dieses Werk trotz der kleinen stilistischen Schwächen Wellen schlägt und auch die Obrigkeiten in Politik und Wirtschaft zum Umdenken bewegt. Gerade im so sehr von Atomkraft abhängenden Land Frankreich ist dies bitter nötig. Aber auch in Deutschland sollte das Buch möglichst auch von den Entscheidungsträgern gelesen werden, damit der Weg des Ausstiegs konsequent weiter fortgesetzt wird. Ich bin fest davon überzeugt - und mittlerweile sind immer mehr Fachleute ebenfalls dieser Meinung, Ideen und Möglichkeiten gibt es genug - dass wir auch ohne Atomstrom auskommen, ohne dass wir auf unseren Energiekomfort verzichten müssen und ohne dass das Stromnetz zusammenbricht. Wobei die Suche nach Einsparpotential beim Stromverbrauch natürlich immer Sinn macht.
Vor einer Weile gab es in der ARD ja eine Dokumentationssendung dazu, wie es
ohne Atomenergie gehen kann.